Aufsichtsräte können nicht als selbständige Unternehmer gemäß dem Mehrwertsteuerrecht angesehen werden

EuGH v. 13.6.2019 – C 420/18

Art. 9 und 10 der Mehrwertsteuerrichtlinie sind dahin auszulegen sind, dass ein Mitglied des Aufsichtsrats einer Stiftung, der zwar hinsichtlich der Ausübung seiner Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied weder dem Vorstand noch dem Aufsichtsrat dieser Stiftung hierarchisch untergeordnet ist, jedoch nicht in eigenem Namen, für eigene Rechnung und in eigener Verantwortung handelt und auch nicht das wirtschaftliche Risiko seiner Tätigkeit trägt, da er eine feste Vergütung erhält, die weder von der Teilnahme an Sitzungen noch von seinen tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden abhängt, nicht selbständig eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt.

Der Sachverhalt:
Der Kläger war im Streitjahr 2014 Mitglied des Aufsichtsrats einer Stiftung, deren Haupttätigkeit darin besteht, hilfsbedürftigen Personen dauerhaft Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Das Aufgabengebiet der Aufsichtsratsmitglieder bestand darin, die Geschäftsführung der Stiftung zu überwachen, über die Zusammensetzung des Vorstands zu entscheiden und die Jahresabschlüsse festzustellen. Für diese Tätigkeiten als Aufsichtsratsmitglied erhielt auch der Kläger eine Fixvergütung.

Bis zum 1.1.2013 galt nach einem Erlass des Staatssekretärs für Finanzen in den Niederlanden die Aufsichtsrat-Tätigkeit des Klägers nicht als mehrwertsteuerpflichtig. Dieser Erlass wurde jedoch zurückgenommen. Am 8.7.2014 gab der Kläger im Rahmen der Ausübung seiner Tätigkeit als Mitglied dieses Aufsichtsrats eine Umsatzsteuererklärung für den Zeitraum von April bis Juni 2014 über 782 € ab, die er auch zahlte. Mit Schreiben vom 9.7.2014 legte er jedoch Einspruch hinsichtlich dieser Steuer ein, der mit Bescheid der Steuerverwaltung zurückgewiesen wurde.

Die hiergegen gerichtete Klage blieb in erster Instanz erfolglos. Auf die Berufung des Klägers hat der Gerichtshof Herzogenbusch das Verfahren ausgesetzt und die Sache dem EuGH mit der Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob ein Mitglied des Aufsichtsrats einer Stiftung, das hinsichtlich seiner Arbeitsbedingungen und seines Arbeitsentgelts diesem Aufsichtsrat untergeordnet ist, im Übrigen aber in keinem Unterordnungsverhältnis zum Aufsichtsrat oder zur Stiftung steht, seine wirtschaftliche Tätigkeit selbständig i.S.v. Art. 9 und 10 der Mehrwertsteuerrichtlinie ausübe. Der EuGH hat die Selbständigkeit des Aufsichtsratsmitgliedes verneint,

Die Gründe:
Art. 9 und 10 der Mehrwertsteuerrichtlinie sind dahin auszulegen sind, dass ein Mitglied des Aufsichtsrats einer Stiftung wie der Kläger des Ausgangsverfahrens, der zwar hinsichtlich der Ausübung seiner Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied weder dem Vorstand noch dem Aufsichtsrat dieser Stiftung hierarchisch untergeordnet ist, jedoch nicht in eigenem Namen, für eigene Rechnung und in eigener Verantwortung, sondern für Rechnung und unter Verantwortung des Aufsichtsrats handelt und auch nicht das wirtschaftliche Risiko seiner Tätigkeit trägt, da er eine feste Vergütung erhält, die weder von der Teilnahme an Sitzungen noch von seinen tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden abhängt, nicht selbständig eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt.

Um feststellen zu können, ob eine Tätigkeit – wie hier – selbständig ausgeübt wird, ist in einem ersten Schritt zu prüfen, ob eine Person wie der Kläger nach Art. 10 der Mehrwertsteuerrichtlinie als Lohn- oder Gehaltsempfänger oder sonstige Person, die an ihren Arbeitgeber durch einen Arbeitsvertrag oder ein sonstiges Rechtsverhältnis gebunden sind, das hinsichtlich der Arbeitsbedingungen und des Arbeitsentgelts sowie der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers ein Verhältnis der Unterordnung schafft, von der Besteuerung ausgeschlossen ist. Hierzu ist erstens festzustellen, dass im vorliegenden Fall der Kläger kein Lohn- oder Gehaltsempfänger ist. Zwar wird von seiner Vergütung „Lohnsteuer“ einbehalten. Jedoch wird das Verhältnis zwischen einem Mitglied des Aufsichtsrats einer juristischen Person und dieser juristischen Person im Kontext des Ausgangsrechtsstreits lediglich aufgrund einer Gesetzesfiktion als Arbeitsverhältnis eingestuft, da bei einem solchen Aufsichtsratsmitglied die Kriterien eines Arbeitsverhältnisses nicht erfüllt sind.

Zweitens übt der Kläger seine Tätigkeit nicht auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags, sondern auf der Grundlage eines Dienstleistungsvertrags aus. Und drittens ist zur Frage, ob ein sonstiges Rechtsverhältnis vorliegt, das hinsichtlich der Arbeitsbedingungen und des Arbeitsentgelts sowie der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers ein Verhältnis der Unterordnung schafft, festzustellen, dass hinsichtlich der Arbeitsbedingungen kein Unterordnungsverhältnis besteht, da zum einen die Mitglieder eines solchen Aufsichtsrats keinen Weisungen des Vorstands der Stiftung unterliegen, insbesondere wenn sie die Modalitäten der Ausübung ihrer Tätigkeit regeln. Die Aufsichtsratsmitglieder sollen vielmehr die Strategie des Vorstands und den allgemeinen Geschäftsgang der Stiftung auf unabhängige Weise kontrollieren. Und diese Aufsichtsfunktion lässt sich nicht mit einem Unterordnungsverhältnis vereinbaren.

Zum anderen legt der Aufsichtsrat zwar seine Arbeitsweise in einer Geschäftsordnung fest, er scheint aber seinen Mitgliedern nicht vorschreiben zu dürfen, wie sie ihr Mandat jeweils wahrnehmen. Nach diesen Angaben sind die Aufsichtsratsmitglieder nämlich innerhalb des Aufsichtsrats unabhängig und müssen gegenüber den anderen Aufsichtsratsmitgliedern kritisch handeln. Fehlt es aber an einem Unterordnungsverhältnis hinsichtlich der Arbeitsbedingungen, stehen die Mitglieder eines solchen Aufsichtsrats in keinem anderen Rechtsverhältnis, das i.S.v. Art. 10 der Mehrwertsteuerrichtlinie ein Verhältnis der Unterordnung schafft. Daher ist in einem zweiten Schritt anhand Art. 9 dieser Richtlinie zu prüfen, ob eine Tätigkeit wie die des Ausgangsverfahrens selbständig ausgeübt wird.

Insoweit ergibt sich aus der EuGH-Rechtsprechung zu Art. 9 der Mehrwertsteuerrichtlinie, dass, um zu bestimmen, ob eine Person eine wirtschaftliche Tätigkeit selbständig ausübt, zu prüfen ist, ob sie sich bei der Ausübung dieser Tätigkeit in einem Unterordnungsverhältnis befindet. Die Aufsichtsratsmitglieder können die dem Aufsichtsrat übertragenen Befugnisse nicht individuell ausüben und für Rechnung und unter Verantwortung des Aufsichtsrats handeln. Somit erweist sich, dass die Mitglieder des Aufsichtsrats der Stiftung individuell weder die Verantwortung tragen, die sich aus den in gesetzlicher Vertretung der Stiftung vorgenommenen Handlungen des Aufsichtsrats ergibt, noch für Schäden haften, die sie Dritten in Wahrnehmung ihrer Aufgaben verursachen, und damit nicht in eigener Verantwortung handeln.

Die Situation eines Aufsichtsratsmitglieds wie des Klägers zeichnet sich außerdem im Gegensatz zu der eines Unternehmers dadurch aus, dass mit der ausgeübten Tätigkeit keinerlei wirtschaftliches Risiko einhergeht. Dem vorlegenden Gericht zufolge bezieht ein solches Aufsichtsratsmitglied nämlich eine feste Vergütung, die weder von seiner Teilnahme an Sitzungen noch von seinen tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden abhängt. Daher übt er im Unterschied zu einem Unternehmer keinen nennenswerten Einfluss auf seine Einnahmen oder Ausgaben aus.

Hintergrund:
In Deutschland gelten Aufsichtsratsmitglieder von Kapitalgesellschaften als selbständige Unternehmer i.S.d. UStG. Infolgedessen unterliegen ihre Vergütungen regelmäßig der Umsatzsteuer, falls das Aufsichtsratsmitglied nicht ausnahmsweise Kleinunternehmer i.S.v. § 19 UStG ist. Mit dem hier vorliegenden Urteil hat der EuGH nun anders entschieden. Es bleibt abzuwarten, ob und gegebenenfalls wie die deutsche Finanzverwaltung darauf reagiert.

Quelle: curia.europa.eu