Niedersächsisches FG 7.3.2019, 11 K 23/18
Die Vorschrift des § 42 AO ist nach BFH-Rechtsprechung grundsätzlich auch im Umsatzsteuerrecht anzuwenden. Die Vereinbarung eines über dem Marktpreis liegenden Entgelts stellt auch dann keinen Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten dar, wenn der Lieferer die mit dem Vorsteuerabzug korrespondierende Umsatzsteuerschuld aufgrund von § 24 UStG nicht an das Finanzamt erbringen muss.
Der Sachverhalt:
Die Klägerin betreibt mehrere Biogasanlagen und Blockheizkraftwerke. An ihr sind 57 Landwirte als Gesellschafter beteiligt. Nach einer Außenprüfung im Jahr 2016 stellte der Prüfer fest, dass die Klägerin für ihre Biogasanlagen von ihren Gesellschaftern sowie einem Fremdanbieter Gülle gekauft hatte. Dabei waren allerdings nicht alle Gesellschafter der Klägerin Güllelieferanten. Ferner stand der Fremdanbieter in einem Gesellschaftsverhältnis zu einem Gesellschafter der Klägerin. Die überwiegende Anzahl der liefernden Landwirte versteuerten die Güllelieferungen gem. § 24 UStG nach Durchschnittsätzen. Die Klägerin zahlte den Landwirten in den Streitjahren 2011 bis 2014 zusätzlich eine Transportentschädigung in Abhängigkeit von der jeweiligen Entfernung.
Der Prüfer vertrat die Auffassung, dass die von der Klägerin gezahlten Preise deutlich überhöht seien. Auch die Nähe der Anbieter zur Biogasanlage sei kein nachvollziehbarer Grund für so stark abweichende Güllepreise zum Marktwert. Der Prüfer wertete die Liefer- bzw. Rechtsbeziehung zwischen der Klägerin und ihren Gesellschaftern als rechtsmissbräuchlich i.S.v. § 42 AO. Die Preisgestaltung sei von der Klägerin letztlich allein aus steuerlichen Motiven gewählt worden, da dem Vorsteuerabzug auf Seiten der Klägerin keine Zahlungsverpflichtung auf Seiten der liefernden Landwirte gegenüber gestanden habe, weil diese ihre Umsätze nach § 24 UStG versteuert hätten. Der Prüfer kürzte daher die in den Gutschriften mit 10,7 % ausgewiesenen Vorsteuern um 75 % und kürzte die Vorsteuer der Streitjahre entsprechend.
Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt.
Die Gründe:
Auch wenn die Gegenleistung im Verhältnis zum allgemeinen Marktpreis weit überhöht war, stellte sie das Entgelt dar.
Ein Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten gem. § 42 Abs. 1 Satz 1 AO lag nicht vor.
Danach kann das Steuergesetz durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten nicht umgangen werden. Liegt ein Missbrauch vor, so entsteht der Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht. Die Vorschrift des § 42 AO ist nach BFH-Rechtsprechung (Urt. v. 16.6.2015, XI R 17/13) grundsätzlich auch im Umsatzsteuerrecht anzuwenden. Sie stellt keine Sondermaßnahme i.S.d. Art. 395 der MwStSystRL dar. Nach EuGH-Rechtsprechung (Urt. v. 18.12.2014, C-131/13) geht nach Art. 395 der MwStSystRL die Anwendung des Unionsrechts nicht so weit, dass das Unionsrecht von den Wirtschaftsteilnehmern begangene missbräuchliche Praktiken deckt. Umsätze, die nicht als normale Handelsgeschäfte, sondern nur zu dem Zweck getätigt werden, missbräuchlich in den Genuss von im Unionsrecht vorgesehenen Vorteilen zu gelangen, sind durch die MwStSystRL nicht gedeckt.
Die Feststellung einer missbräuchlichen Praxis auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer setzt aber zum einen voraus, dass die fraglichen Umsätze trotz formaler Erfüllung der einschlägigen Bestimmungen der MwStSystRL und des zu ihrer Umsetzung erlassenen nationalen Rechts einen Steuervorteil zum Ergebnis haben, dessen Gewährung mit dem mit diesen Bestimmungen verfolgten Zweck zuwiderläuft, und dass zum anderen aufgrund einer Reihe objektiver Anhaltspunkte ersichtlich ist, dass mit den fraglichen Umsätzen im Wesentlichen ein Steuervorteil bezweckt wird. Nicht einschlägig ist das Missbrauchsverbot, wenn die fraglichen Umsätze eine andere Erklärung als nur die Erlangung von Steuervorteilen haben können, wobei der Steuerpflichtige grundsätzlich das Recht hat, seine Tätigkeit so zu gestalten, dass er seine Steuerschuld in Grenzen hält.
Im Bereich der Durchschnittssatzbesteuerung gem. § 24 UStG ist es nach BFH-Rechtsprechung (Urt. v. 9.7.1998, V R 68/96) rechtsmissbräuchlich, wenn ein Händler und ein Landwirt die Umsätze des Landwirts durch Verkauf und Rückkauf von Tieren ohne Rücksicht auf den wirtschaftlichen Gehalt der vom Landwirt erbrachten Leistungen künstlich zu erhöhen versuchen und hierdurch der Händler in den Genuss eines erhöhten Vorsteuerabzugs zu gelangen versucht. Das FG München hat es im Urteil vom 1.7.2015 (3 K 2165/12) auf der Grundlage dieser BFH-Entscheidung als rechtsmissbräuchlich angesehen, wenn der Verkauf und der Rückkauf von Vieh unter Beteiligung miteinander verwandter Landwirte lediglich den doppelten Genuss eines Vorsteuerüberhangs bezweckte. Eine solche mißbräuchliche Gestaltung lag hier aber nicht vor.
Quelle: Rechtsprechungsdatenbank Niedersachsen