Sechsmonatsfrist des § 66 Abs. 3 EStG bereits bei Festsetzung des Kindergeldes zu beachten

FG Düsseldorf v. 10.4.2019 – 10 K 3589/18 Kg

Die Sechsmonatsfrist des § 66 Abs. 3 EStG ist bereits bei Festsetzung des Kindergeldes zu beachten. Dies folgt sowohl aus dem Wortlaut der Norm („gezahlt“), wie er auch Gegenstand der Regelungen in § 64 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 und 5, § 65 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 sowie § 66 Abs. 2 EStG ist, als auch aus der systematischen Stellung.

Der Sachverhalt:
Strittig ist, ob die beklagte Familienkasse die Auszahlung des Kindergeldes für die im August 1993 und Juli 1999 geborenen Söhne B und C des Klägers entgegen der rückwirkenden Festsetzung ab Juli 2016 bzw. August 2017 aufgrund der Regelung in § 66 Abs. 3 EStG für Anspruchszeiträume vor Februar 2018 versagen durfte. Auf Antrag des Klägers von August 2018 setzte die Familienkasse rückwirkend für B ab Juli 2016 und für C ab August 2017 Kindergeld fest. Die Auszahlung des Kindergeldes für Anspruchszeiträume vor Februar 2018 versagte sie unter Hinweis auf § 66 Abs. 3 EStG in der ab dem 1.1.2018 geltenden Fassung.

Der Kläger wendet ein, ihm sei in einem Schreiben, das er im Zusammenhang mit der Beendigung der Kindergeldzahlungen ab Juli 2016 bzw. August 2017 erhalten habe, mitgeteilt worden, dass Kindergeld vier Jahre nachgezahlt werden könne. Er habe sich deshalb Zeit gelassen, zumal Bankguthaben kaum noch Zinsen erbrächten. Über die durch das Gesetz vom 23.6.2017 eingeführte Regelung in § 66 Abs. 3 EStG sei er nicht informiert worden.

Das Kindergeld sei für seine Kinder eine Absicherung ihres Studiums. So habe sich sein Sohn B durch sein Studium in X hoch verschuldet. Mit dem Kindergeld habe ein Teil der Schulden gegenüber dem X Staat bezahlt werden sollen. Dass das Kindergeld für diese Zeiten nicht ausgezahlt werde, treffe ihn in voller Härte. Dies sei mit Sicherheit nicht im Sinne des Gesetzgebers gewesen, als er dieses neue Gesetz erlassen habe. Auch sei er, der Kläger, der Meinung, dass das Kindergeld ihm vom jeweils festgesetzten Zeitpunkt an zustehe, weil das Gesetz zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht existiert habe. Ein Gesetz könne aber nur für die Zukunft und nicht auch für die Vergangenheit Geltung beanspruchen.

Das FG gab der Klage statt. Die Revision zum BFH wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

Die Gründe:
Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig, soweit die Familienkasse darin Kindergeld für B ab Juli 2016 und für C ab August 2017 festgesetzt, die Nachzahlung des festgesetzten Kindergeldes jedoch auf den Zeitraum von Februar 2018 bis September 2018 begrenzt hat. Diese Begrenzung war aufzuheben und die Nachzahlung gem. § 100 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 FGO auch auf die davorliegenden Zeiträume bis zu dem Monat zu erstrecken, ab dem Kindergeld für das jeweilige Kind festgesetzt wurde.

Nach § 66 Abs. 3 EStG wird das Kindergeld rückwirkend nur für die letzten sechs Monate vor Beginn des Monats gezahlt, in dem der Antrag auf Kindergeld eingegangen ist. Diese Regelung gilt nach § 52 Abs. 49a Satz 7 EStG für alle Anträge, die – wie der im August 2018 gestellte Antrag des Klägers – nach dem 31.12.2017 eingehen. § 66 Abs. 3 EStG und § 52 Abs. 49a Satz 7 EStG wurden durch das Gesetz zur Bekämpfung der Steuerumgehung und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 23.6.2017 eingefügt. Nach der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Finanzausschusses sollte durch § 66 Abs. 3 EStG verhindert werden, dass für einen mehrjährigen Zeitraum in der Vergangenheit rückwirkend Kindergeld ausgezahlt werden kann. Abweichend von der regulären Festsetzungsfrist von vier Jahren gem. § 169 AO sehe die Regelung vor, dass Kindergeld nur noch sechs Monate rückwirkend ausgezahlt werden könne.

§ 66 Abs. 3 EStG entspricht wörtlich einer Vorgängerregelung, die bis zu ihrer Aufhebung in der Zeit vom 1.1.1996 bis zum 31.12.1997 galt. Das BVerfG hat diese Vorgängerregelung als verfassungsgemäß angesehen. Das FG schließt sich dieser Ansicht auch für die erneute Regelung – ebenso wie für die Inkrafttretensregelung – an. § 66 Abs. 3 EStG enthält keine Regelung, die sich ausschließlich auf den Bereich der Erhebung, d.h. die Auszahlung des Kindergeldes, bezieht. Die Vorschrift bezieht sich vielmehr zugleich auf die Festsetzung des Kindergeldes. Dies folgt sowohl aus dem Wortlaut der Norm („gezahlt“), wie er auch Gegenstand der Regelungen in § 64 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 und 5, § 65 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 sowie § 66 Abs. 2 EStG ist, als auch aus der systematischen Stellung.

Die Familienkasse war daher nach § 66 Abs. 3 EStG gehindert, Kindergeld für B und C für Monate vor Februar 2018 festzusetzen. Die gleichwohl erfolgten, weiter zurückreichenden Festsetzungen sind damit rechtswidrig, mangels Nichtigkeit oder Aufhebung, etwa aufgrund einer Anfechtung durch den Kläger, aber auch für die Beklagte gem. § 124 Abs. 2 AO bindend. Sie bilden den Rechtsgrund für eine Verpflichtung zur Auszahlung ab dem Monat der Festsetzung des Kindergeldes.

Quelle: Rechtsprechungsdatenbank NRW