Verfassungsrechtliche Zweifel an Abzinsung von Verbindlichkeiten mit einem Zinssatz von 5,5 %

FG Hamburg v. 31.1.2019 – 2 V 112/18

Im Rahmen der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bestehen ernsthafte Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit eines Zinssatzes von 5,5 % für die Abzinsung von Verbindlichkeiten gem. § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG. In einer anhaltenden Niedrigzinsphase hat dieser typisierende Zinssatz den Bezug zum langfristigen Marktzinsniveau verloren.

Der Sachverhalt:
Die Antragstellerin ist eine GmbH und betreibt den In- und Export und Handel von Orientteppichen. Sie ermittelt ihren Gewinn durch Vermögensvergleich. Im Jahr 2001 hatte sie mit der pakistanischen Firma A eine Vereinbarung geschlossen. Auf der Grundlage dieser Vereinbarung wickelte die Antragstellerin in der Folgezeit den Handel mit der Firma A ab. In den Rechnungen der Antragstellerin an ihre Kunden, die auf ihrem Geschäftspapier gefertigt worden waren, hieß es im Rubrum: „Wir verkaufen an Sie im Namen und für Rechnung des Abladers“.

Die Antragstellerin buchte auf einem „Verrechnungskonto Ablader“ die eingehenden Kauferlöse, ihre Provisionen, die auftragsgemäß ausgeführten Zahlungen an Dritte sowie Verbindlichkeiten als bilanzielle Gegenpositionen zu den Forderungen i.H.d. jeweils ausgestellten Rechnungen. Am 7.12.2015 vereinbarte die Antragstellerin mit der Firma A, dass deren Verrechnungskonto ab 2016 mit 3 % per anno verzinst werden sollte.

Nach einer Außenprüfung für die Streitjahre 2013 und 2015 erließ das Finanzamt geänderte Körperschaft- und Gewerbesteuermessbescheide, mit denen die Verbindlichkeiten auf dem Abladerkonto mit einer Laufzeit von mehr als 12 Monaten abgezinst wurden. Dabei wurde der am Jahresende verbleibende Saldo auf dem Verrechnungskonto um die im jeweiligen Jahr hinzugekommenen Verbindlichkeiten bereinigt und mit einem Faktor von 0,503 abgezinst.

Der hiergegen gerichtete Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) war vor dem FG erfolgreich. Allerdings wurde die Beschwerde zum BFH zugelassen.

Die Gründe:
Die Aussetzung der Vollziehung ist zu gewähren. Zwar ist davon auszugehen, dass der Antragsgegner die Verbindlichkeiten auf dem Verrechnungskonto zu Recht in dem in Rede stehenden Umfang als langfristige Verbindlichkeiten angesehen hat. Es bestehen aber Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abzinsung mit Blick auf den typisierenden Zinssatz von 5,5 %.

Nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG sind unverzinsliche Verbindlichkeiten, deren Laufzeit am Bilanzstichtag mehr als zwölf Monate beträgt und die nicht auf einer Anzahlung oder Vorauszahlung beruhen, mit einem Zinssatz von 5,5 % abzuzinsen. Das mit Wirkung vom 1.1.1999 eingeführte Abzinsungsgebot soll dem Umstand Rechnung tragen, dass unverzinsliche Geldleistungsverpflichtungen weniger belastend sind als marktüblich verzinste Schulden; sie gebieten deshalb eine Abzinsung auf den niedrigeren Teilwert. In einer anhaltenden Niedrigzinsphase sind die in den Steuergesetzen festgelegten typisierenden Zinssätze von 6 % (§ 238 AO und § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG) bzw. von 5,5 % (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG) zunehmend in die Kritik geraten, weil sie durch ihre „realitätsferne Bemessung“ den Bezug zum langfristigen Marktzinsniveau verloren haben.

Beim BVerfG sind verschiedene Verfahren zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Zinssätze anhängig (2 BvR 2706/17, 2 BvL 22/17, 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17). Der BFH hat mit Beschlüssen vom 25.4.2018, IX B 21/18 (BStBl II 2018, 415) und vom 3.9.2018, VIII B 15/18 (BFH/NV 2018, 1279) bezogen auf § 233a AO Aussetzung der Vollziehung gewährt wegen „schwerwiegender verfassungsrechtlicher Zweifel“ an der Zinshöhe von 6 % nach § 233a AO i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO. Auch die Verwaltung setzt deswegen seit Ende 2018 auf Antrag die Vollziehung von Zinsbescheiden für Verzinsungszeiträume ab dem 1.4.2012 aus.

Vor diesem Hintergrund hat der Senat ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Abzinsungszinssatzes von 5,5 % gem. § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG, weshalb die AdV gewährt wird. Im Interesse des Steuerpflichtigen an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist der Vorrang vor dem öffentlichen Interesse am Vollzug des Gesetzes einzuräumen.

Quelle: FG Hamburg Pressemitteilung v. 5.2.2019